Rückzug Einladung Fr. Muhsal

Der Rückzug der Einladung Wiebke Muhsals der AfD soll für alle Interessierten der Fachtagung verständlich und transparent gestaltet werden. Hierzu dient daher nachfolgende E-Mail von Prof. Dr. Opielka an Frau Muhsal vom 21.11.2015:

Sehr geehrte Frau Muhsal,

ich hatte Sie am 8.11.2015 in Abstimmung mit den Studierenden, mit denen ich die Fachtagung am 1.12.2015 vorbereite, angefragt, ob Sie sich die Teilnahme am „Politischen Podium“ der Fachtagung vorstellen können, sie haben am 9.11.2015 dankenswerterweise zugesagt. In dieser Woche wurde das Programm veröffentlicht, anbei die elektronische Fassung des Programmflyers; unterdessen hat zusätzlich Christoph Matschie, MdL der SPD, seine Teilnahme zugesagt.

Es wird Sie nicht überraschen, dass Ihre Einladung zum Tagungsthema bei vielen Personen auf Skepsis bis starke Ablehnung stieß, da die AfD durch zahlreiche Aktivitäten die Grenze zu Rassismus und Rechtsradikalismus systematisch aufweicht, die Lektüre der Zeitschrift „Junge Freiheit“, die Sie sicher kennen, dokumentiert dies auf bedrückende Weise. Ich habe Ihre Einladung dennoch unterstützt, da ich der Auffassung bin, dass die geistige und politische Auseinandersetzung mit allen Personen geführt werden muss, die zur Auseinandersetzung bereit sind und die die Grundregeln der modernen Zivilisation respektieren, d.h. insbesondere die Freiheit der Andersdenkenden.

Allerdings habe ich als Tagungsleiter auch die Aufgabe darauf zu achten, dass das Thema der Tagung – „Soziale Grundrechte auch für Flüchtlinge“ – in der Sache ernsthaft untersucht werden kann. Ich habe daher Ihre jüngsten öffentlichen, im Internet dokumentierten Reden zum Thema Asyl und Flüchtlinge angehört. Am 18.11.2015 haben Sie auf einer AfD-Demonstration in Erfurt eine Rede gehalten, in der Sie unter anderem sagen: „Vorbei mit Multikulti, das wäre schön“ – das ist natürlich keine seriöse, eher eine ästhetische und historische Aussage, zumal ungeklärt bleibt, was „Multikulti“ genau heißt. Um besser zu verstehen, was Sie meinen und vor allem, was Sie auslösen, helfen die mit dokumentierten Ausrufe Ihres Publikums:
https://www.youtube.com/watch?v=GaP8P_y4hRI
Offen gesagt: ich verstehe, dass viele Menschen Angst vor dem hier zu hörenden Gegröhle („Deutschland, Deutschland!“, „Abschieben, Abschieben!“) haben. Ihre Rede selbst ist nicht rechtsradikal, auch nicht rassistisch, doch sie biedert sich auf eine unangenehme Weise bei denjenigen an, die genau das wünschen, vor allem, wenn Sie am Ende ausrufen: „Der Mann für die großen Visionen im Land: Björn Höcke!“ – dessen „visionären“ Äußerungen sind daher auch Ihnen zuzurechnen, auch sie stellt Ihre Partei ins Netz:
https://www.youtube.com/watch?v=nQ72wsiUWCE
Höckes Sätze sind rustikaler und – offen gesagt – dümmlicher Rechtspopulismus, ich habe einige notiert:
„Ich liebe mein Volk“
„Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken“
„Den Zuzug nach Europa sofort zu beenden“
„Deutschland ist unser Land“ (wer ist übrigens „uns“?)
Multikulti, „die die klassische Familie abschaffen wollen“ (wer will das genau?)
„Die Bundeswehr dient in der ganzen Welt fremden Interessen“

Mir erschließt sich nicht, wie aus dieser „visionären“ Perspektive eine ernsthafte Diskussion zu „Sozialen Grundrechten auch für Flüchtlinge“ gelingen kann.

Ich habe mir daher auch noch Ihre ausführliche Rede „zur Asylpolitik in Deutschland, Thüringen und Jena“ angesehen, die Sie am 27.9.2015 in Jena hielten, angesehen:
https://www.youtube.com/watch?v=Ine-OcdgdI4
Auch hieraus einige merkwürdige Gedanken und Begriffe: „Asylschwemme“, „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, „Ramelow: Freistaat auf dem Weg zur Selbstaufgabe“ und schließlich: „Wir brauchen eine Trennung von Asyl- und Einwanderungsrecht“ – da letzteres, wie Sie als Juristin wissen müssten, immer schon rechtlich getrennt ist, erweckt Ihre Rede den Eindruck des fahrlässigen Ressentimentmanagements, eine m.E. in einer erhitzten politischen Landschaft gefährliche und letztlich inhumane Praxis.

Ausgangspunkt der Fachtagung ist die sozialethische und sozialpolitische Frage, ob auch Flüchtlingen Soziale Grundrechte zukommen – und welche, wie genau und durch wen garantiert. Darüber lohnt sich zu diskutieren. Ich hatte gehofft, dass Sie als Juristin und Absolventin der Jenaer Universität, der Sie auch als Korrekturassistentin dienten, für eine seriöse Diskussion gewonnen werden können. Ihre jüngsten, in dieser Woche erfolgten öffentlichen Äußerungen in Verbindung mit der von Ihnen betriebenen Kontextuierung – dumpfes „Volks“-Gegröhle, Höckes Polemik als „Vision“ – bedrücken. Es besteht die Gefahr, dass das Politische Podium und die gesamte Tagung von einer Diskussion um Realität und Gefahr des Rechtspopulismus überlagert werden und das wissenschaftliche, sozialarbeiterisch-praktische und politisch-ethische Problem des Tagungsthemas verdrängt wird. Es würde um Sie und die AfD gehen, nicht um die komplexe Problemstellung, deren Bearbeitung ich wiederum meinen Studierenden und der Öffentlichkeit schuldig bin.

Sie schrieben mir am 9.11., dass das Politische Podium mit einer auswärtigen Sitzung Ihrer Landtagsfraktion konfligiert, die Podiumsteilnahme daher mit großen Aufwand für Sie verbunden wäre. Angesichts Ihrer aktuellen Positionierung zum Thema bitte ich um Verständnis, dass wir unsere Einladung zum Politischen Podium zurückziehen. Ich bedauere das, weil ich am Gespräch interessiert bin und mich auch frage, warum intelligente Menschen wie Sie zu Normativen neigen, die nur mit einer Wagenburg-Mentalität und kollektiver Selbstüberhöhung zu erklären sind. Die Fachtagung ist zugleich ein Lehr-Lern-Projekt meiner Hochschule im Studienfeld „Ethik und Soziale Arbeit“, der Rückzug einer Einladung muss sich also ethisch rechtfertigen lassen. Wäre Ihre Position eine menschenfreundliche – und nicht nur eine deutschenfreundliche – und würden Sie in Ihrer Meinungsäußerung unterdrückt, dann würde ich Ihre Einladung gegen alle Widerstände aufrecht erhalten. Ihr Spiel mit aggressiven nationalistischen Ressentiments auf der Erfurter Demonstration am Mittwoch dieser Woche macht die ethische Antwort am Ende doch recht klar: so geht es nicht. Ich bitte Sie daher um Verständnis, dass das Politische Podium auf Ihre Teilnahme verzichtet.

Viele Grüße
Michael Opielka